Die Traditionen
Vampire halten sich an eine Reihe von Regeln, die ein Mittelding zwischen einem Bestandteil ihres untoten Wesens und einem Gesellschaftsvertrag, der jede Nacht an den Höfen der Verdammten aufs Neue ratifiziert wird, darstellen. Nicht alle Vampire bringen der Vorstellung der Traditionen den Respekt entgegen, den sie verdienen – vor allem der Sabbat klopft große Sprüche über die Fehler der Traditionen und die Willensschwäche derer, die sich hinter ihnen verbergen –, aber in der Praxis halten sich die meisten Vampire in einem gewissen Maße an die Traditionen. Das gilt vor allem für die Maskerade, denn so kühn der Sabbat oder die Anarchen auch sein mögen, nicht einmal sie sind mächtig genug, um sich gegen eine Welt voller Sterblicher zu stellen, die das Geheimnis erfahren haben, dass die Untoten unter ihnen wandeln.
Die Interpretation und Durchsetzung der Traditionen ist Privileg und Verantwortung des Prinzen der Kainskinder. In manchen Domänen, vor allem denen, die nicht der Sekte der Camarilla unterstehen, können sowohl die Namen der Traditionen als auch deren Inhalt variieren, aber das Grundprinzip findet sich überall: dass eine untote Autorität die Regeln bestimmt, und wehe dem, der das Gefühl hat, er müsse sich nicht an sie halten.
Die erste Tradition: Die Maskerade[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Diese Tradition ist zum Fundament der modernen Kainskinder- Gesellschaft geworden, sie verbirgt Vampire vor den Augen Sterblicher. Viele Prinzen und andere Autoritätspersonen der Kainskinder verbringen viel Zeit damit, ihren Einfluss oder ihren Reichtum geltend zu machen, um zum Wohle der Verdammten, die vielleicht nicht einmal die Gefahr sehen, in die sie sich bringen, wenn sie die Maskerade brechen, entsprechende Vorfälle zu vertuschen. Die Camarilla übertreibt es in Sachen Maskerade tendenziell eher und wirkt ihre Macht aus dem Schatten heraus, der Sabbat hingegen sehnt sich nach einer Zeit, in der die Maskerade nicht mehr nötig ist und in der Sterbliche wenig mehr als Blutsklaven sind, die schon in den Ketten ihrer vampirischen Herren geboren werden.
Die zweite Tradition: Die Domäne[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Die zweite Tradition ist diejenige, bei denen Prinzen den größten Interpretationsspielraum walten lassen. Manche Prinzen sind der Auffassung, die zweite Tradition gelte nur für Vampire ihres Standes, dass also jede Stadt zur Gänze die Domäne eines Prinzen darstellt und dass jeder darin ihm Lehnstreue und möglicherweise Tribut schuldet. Andere Prinzen sind weit liberaler, sie gewähren jedem (anerkannten) Kainskind ihrer Domäne Souveränität über sein eigenes Terrain. Die meisten Prinzen bewegen sich irgendwo in der Mitte und erkennen an, dass jedes Kainskind seines eigenen Glückes Schmied ist und das Recht hat, in Bereichen, die als die seinen anerkannt sind, Autorität walten zu lassen, gestehen ihm aber keine vollkommene Autonomie zu.
Die dritte Tradition: Die Nachkommenschaft[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Die meisten Prinzen bestehen darauf, dass sie die Ahnen sind, von denen diese Tradition spricht, und verlangen von daher, dass jeder Vampir, der ein Kind erschaffen will, ihre Erlaubnis einholt. Manche Domänen jedoch lesen „deines Ahnen“ als Bezugnahme auf entweder den Ältesten des eigenen Clans oder den eigenen Erzeuger. Beachten Sie, dass solche liberalen Domänen oft die mit der größten Kainskinder-Bevölkerung sind und häufig aufgrund einer Überbevölkerung von Kainskindern die Maskerade am stärksten gefährden.
Die vierte Tradition: Die Rechenschaft[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Diese Tradition stellt eine doppelte Regel auf. Zum einen ist ein Nachkomme faktisch der Besitz seines Erzeugers, bis dieser die Zeit für gekommen hält, ihn sich allein der Gesellschaft der Kainskinder stellen zu lassen. Zum anderen bereitet ein missratenes Kind seinem Erzeuger Probleme, denn er ist verantwortlich für die Taten seines Kindes und deren Konsequenzen, bis es losgesprochen ist. Diese Tradition ist auch der Ursprung der Angewohnheit mancher Kainskinder, die ihre Kinder sich ihre Freiheit in einem langen, anstrengenden Prozess erwerben lassen, und der Einstellung anderer Kainiten, die sich in etwa folgendermaßen zusammenfassen lässt: „Scheiße, du bist jetzt Vampir. Mach dem Rest von uns nicht das Unleben schwer, sonst reiße ich dir eigenhändig das Herz heraus. Viel Spaß.”
Die fünfte Tradition: Die Gastfreundschaft[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Ein Prinz hat das Recht zu bestimmen, wer sich in seiner Domäne aufhalten darf und wer sie verlassen muss, wenn er nicht bestraft werden möchte. Einfach ausgedrückt sollte ein Vampir, der in eine neue Stadt reist, sich dem Prinzen oder einem anderen für die Stadt zuständigen Ahnen vorstellen. Wie diese Tradition umgesetzt wird, ist wiederum von den Launen der einzelnen Prinzen abhängig. Manche sind Diktatoren, die mit eiserner Faust regieren und wissen wollen, welche Kainskinder in ihren Städten kommen und gehen, während das anderen ziemlich egal ist, solange sich alle an die anderen Traditionen halten und die gesellschaftliche Ordnung nicht stören.
Die sechste Tradition: Die Vernichtung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Die Blutjagd — die Lextalionis — ist ein Erlass des Prinzen, der einen anderen Vampir zur persona non grata erklärt. Das Recht der Prinzen (oder „Ahnen“, je nach Auslegung der Tradition), die Blutjagd auszurufen, sorgt dafür, dass das Unleben des gejagten Kainskindes praktisch verwirkt ist; die Blutjagd ist die ultimative Strafe für die schwersten Verbrechen. In der Tat wird sie in den meisten Domänen so sparsam eingesetzt und so drakonisch durchgesetzt, dass viele Prinzen sogar Kainskinder begnadigen, die im Rahmen der Lextalionis Diablerie an einem anderen Vampir begehen.